## »Arbeit und Struktur« von Wolfgang Herrndorf

+d Samstag, 9. Dezember 2023

Dieses Mal stelle ich ein Werk vor, das vor allem für Schreibende oder Kunstschaffende im Allgemeinen ein heißer Tipp ist. Wolfgang Herrndorf ist vielen durch seinen Bestseller »Tschick« bekannt, aber das Buch, das ich heute vorstellen möchte, wird viel zu selten besprochen.

[»Arbeit und Struktur«](https://amzn.to/46Q6DKN) ist kein Roman, sondern das Tagebuch eines Autors, der dem Tod ins Auge blickt. Ursprünglich als privater Blog für Freunde und Familie von Herrndorf geführt, wurde das Tagebuch postum auf Wunsch des Autors veröffentlicht.

Herrndorf erhielt 2010 die vernichtende Diagnose eines Glioblastoms, eines bösartigen, als unheilbar geltenden Hirntumors. Einige wenige können damit noch gut ein Jahrzehnt leben, während den meisten vielleicht noch ein, zwei Jahre bleiben. Angesichts der Ungewissheit der Zukunft, aber der Gewissheit des nahenden Todes, begann Herrndorf seine letzten Jahre mit [»Arbeit und Struktur«](https://amzn.to/46Q6DKN) zu dokumentieren.

Der Titel ist dabei kein Zufall; er spiegelt den Plan des Autors wider, wie er die restliche Lebenszeit zu gestalten denkt: Mittels eines strukturierten Tagesablaufs plant er, noch so viele Romane wie möglich schreiben – sowie sich von dem über ihm schwebenden Damoklesschwert ablenken. Trotz Krankheit und epileptischer Anfälle gelang es ihm, in seinen letzten drei Jahren zwei Romane zu vollenden sowie das Fragment eines dritten zu hinterlassen – alles dokumentiert im als Blog begonnenen, aber zum vierten Buch gewordenen [»Arbeit und Struktur«](https://amzn.to/46Q6DKN).

Herrndorf gewährt einen ungeschönten Blick in die eigene Gedankenwelt, in seine Gefühle, in seine Krankheit. Wir begleiten ihn von der Krebsdiagnose über die Chemo, das Radfahren, Freundesbesuchen, den Kauf einer Waffe, bis hin zum intensiven Schreiben, Schreiben, Schreiben … bis hin zu seinem Ende. All das aber, ohne auf Mitleid zu hoffen oder auf die Tränendrüse zu drücken. Herrndorf bleibt abgeklärt, vergisst oft, dass sein Ablaufdatum in naher Zukunft liegt, dass er dem Verderben gegenübersteht. 

Man könnte denken, diese Schilderung sei betrüblich, aber im Grunde ist [»Arbeit und Struktur«](https://amzn.to/46Q6DKN) das buchgewordene Amalgam der Sprichwörter »Memento Mori« und »Carpe Diem« sowie der mittlerweile zur Floskel gewordenen Frage: »Was würdest du tun, wenn du nur noch x Tage zu leben hättest.« 

Herrndorf wächst einem bei der Lektüre ans Herz und ich fand es unglaublich traurig, dass dieser Mensch, dessen Zeilen ich da las, nicht mehr ist. Zuvor hatte ich mich mit ihm als Perso nicht befasst, doch am Ende fühlte es sich so an, als hätte ich tatsächlich von einem Freund Abschied genommen. Und doch kommunizierte er über diese Zeilen zu uns. Dieses Buch ist wie eine wertvolle Lektion.

Zitat: »Ein Jahr in der Hölle, aber auch ein tolles Jahr. Im Schnitt kaum glücklicher oder unglücklicher als vor der Diagnose, nur die Ausschläge nach beiden Seiten größer. Insgesamt vielleicht sogar ein bisschen glücklicher als früher, weil ich so lebe, wie ich immer hätte leben sollen. Und es nie getan habe, außer vielleicht als Kind. (28.3.2011, 9:40)«

[»Arbeit und Struktur«](https://amzn.to/46Q6DKN) ist für mich eines der außergewöhnlichsten und inspirierendsten Bücher, die ich je in Händen hielt. Nicht nur Schreibenden, eigentlich allen Kunstschaffenden kann ich es ans Herz legen. Sehr motivierend, wenn auch traurig und berührend, weil es wahr ist. Man wird sich der eigenen Vergänglichkeit meist erst viel zu spät bewusst.


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